Am Ostersonntag, 24. April 2011, im Grundsteinsaal des Goetheanums in Dornach.
Noch selten habe ich während eines Schauspiels mit tiefem religiösem Sinn so viel gelacht.
Das wohl als Volkstheater konzipierte Redentiner Osterspiel umgibt die Botschaft von der Erlösung Aller in der sogenannten Höllenfahrt Christi mit einer Rahmenhandlung in welcher römische Soldaten im Auftrag von Pilatus und den Hohepriestern die Auferstehung Christi verhindern sollten. Niedergeschrieben wurde das Stück im 15. Jhdt in der Gegend von Wismar (Ostsee) durch Mönche des Zisterzienser-Klosters Bad Doberan. Die Handlung nimmt stark Bezug auf das sogenannte Nikodemus-Evangelium (Übersetzung).
Ausschnitt aus einem Relief am Taufbecken in der St. Marien-Kirche in Wismar
Bemerkenswert sind an diesem Schauspiel untern anderem die folgenden Punkte:
- Pilatus und die Hohepriester: Die „bösen“ Protagonisten der Karfreitagshandlung werden wohl sehr authentisch dargestellt: Weniger als verdammenswerte Bösewichte, sondern als im Grunde genommen ängstlich auf die Rettung ihrer gefährdeten Stellung und Theologie bedachten Machtmenschen. Die Auferstehung Christi würde das ganze Glaubensgebäude der Hohepriester und die Legitimation ihrer Macht einstürzen lassen. Weshalb hat auch die west-christliche Kirche kein Interesse an der Auferstehung ?
- Die Teufel: im Nikodemus-Evangelium sind es Satan und der alles verschlingende Hades; im Osterspiel treten Luzifer und Satan auf. Luzifer und Satan erweisen sich als letztlich machtlos und entpuppen sich als verzweifelte Verführerin und als Feigling. Auch ihre Macht ist akut gefährdet durch die Auferstehung Christi, verbunden mit dem Besuch in der Hölle. Alle seit Anbeginn der Welt Verstorbenen werden ins Paradies geführt. Zwar ist nur die Rede von der Erlösung der „Gerechten“, aber auf jeden Fall bleiben Luzifer und Satan allein und verzweifelt in der leeren Hölle zurück und verbünden sich, um auch in Zukunft wieder einmal Seelen in die Hölle zu kriegen. In der modernen Geisteswissenschaft ist übrigens auch die Rede davon, dass Luzifer und Ahriman sich mit anderen satanischen Kräften vereinigen, um zu retten was für sie zu retten ist, angesichts der unaufhaltsamen Entwicklung der Menschheit zum Licht.
Auferstehungs-Fresko in der üdlichen Seitenkapelle der Chora-Kirche in Istanbul.
Oberes Bild: Auschnitt in der Hölle; unteres Bild: Gesamtansicht.
- Erlösung: Die Erlösung Aller aus der Hölle räumt unmissverständlich auf mit der noch bis ins 20. Jhdt. als kirchliches Unterdrückungsmittel verwendeten Erbsünde. Leben, Wirken und Auferstehung von Jesus Christus repräsentieren den Bewusstseins-Entwicklungssprung, der es allen Menschen möglich macht, erlöst zu werden. Sicher mit ein Grund, dass das Redentiner Osterspiel in der Versenkung verschwunden ist, welches ja, ernst genommen, die Legitimation der Kirche arg in Frage stellen würde.
- Bibelzitate: Trotz des geradezu ketzerischen Inhalts werden im Spiel laufend Bibelzitate eingeflochten, wie auch das Nikodemus-Evangelium gespickt ist mit Zitaten aus dem alten und neuen Testament.
Die Höllenfahrt Christi ist Bestandteil der Auferstehungsgeschichte, also des Osterereignisses. In den „offiziellen“ Evangelien der katholischen oder protestantischen Bibeln erfahren wir nichts von der Zeit zwischen der Grablegung und der Entdeckung des leeren Grabes, obwohl gerade diese Zeit die zentrale Botschaft des Christentums umfassen würde und uns zu Recht neugierig macht. In den westlichen Kirchen verblasst Ostern neben dem Karfreitag. In der Ostkirche, in welcher ja Ostern das zentrale Fest darstellt, sind Ikonen mit der Darstellung der Auferstehung nicht nur häufig, sondern verweisen auch immer mehr oder weniger deutlich dargestellt auf die damit verbundene Höllenfahrt. Die entsprechenden Bilder aus der katholischen Kirche sind seltener und werden nicht mit der Auferstehung verknüpft.
Gemälde von Andrea di Bonaiuto (14. Jhdt, Florenz)
Weshalb der Karfreitag so wichtig ist, hat der Priester und Psychoanalytiker Eugen Drewermann kürzlich wieder einmal in einem Vortrag in Basel deutlich gemacht: Er macht den Menschen zum armen Sünder, dessen Schuld den Tod Jesu Christi verursacht hat. Oder Gott sah keine andere Möglichkeit mehr, die verlorene Menschheit zu retten, als seinen Sohn zu opfern. Dass diese offizielle Theologie Erlösung verhindert, hat Drewermann aus psychologischer Sicht klar hergeleitet. Erlösung kann nur über Sich-selber-verzeihen geschehen, wofür sich niemand opfern muss.
Das Nikodemus-Evangelium gilt als Legende und ist deshalb als apokryphe Schrift aus der Bibel verbannt. Die Verfasser des Evangeliums und auch die Urheber des Redentiner Osterspiels wären vielleicht besser beraten gewesen, diese zentrale christliche Botschaft in ein Märchen zu kleiden. Dann wären wohl beide dem kirchlichen Bann entronnen und hätten ihren Weg in die Tradition des Volkes genommen.