Die Brüder Grimm betrachteten Märchen auch unter dem Aspekt der Erinnerung an alten Glauben (germanisch, griechisch-römisch) und alte religiöse Praktiken, verpackt in poetische Geschichten der aktuellen Zeit.
Die Absicht der (Zauber-) Märchen ist es, Herzenskräfte zu wecken, an erster Stelle die Liebe. In den Märchen begegnet die Liebe den dunklen Kräften und dem Tod und überwindet diese.
Von Wilhelm Grimm kann vermutet werden, dass er eine grosse Spiritualität im Sinne des Johannes-Evangeliums pflegte, in welchem die allumfassende Liebe als Gebot und der Gedanke der Präsenz Gottes als Ursprung von Allem (Jesus Christus als Vereinigung von Gott und Welt; Ich und der Vater sind eins. Joh. 10,30) im Vordergrund stehen.
Diesen beiden Aspekten widmete er auch seine Forschungstätigkeit in den antiken und germanischen religiösen Schriften sowie in den mittelalterlichen deutschen Epen.
Diese Vermutungen über Wilhelms Verhältnis zur Religion sind begründbar durch eine Analyse seiner Hervorhebungen und Randnotizen in seiner Bibel und in den relevanten Werken der Literatur. Die dazugehörigen Forschungsresultate verdanken wir vor allem G. Ronald Murphy, S.J., welcher eine Interpretation seiner Arbeiten in seinem Buch „The Owl, the Raven, and the Dove” (2000, Oxford University Press) publizierte.