Eine Nacherzählung der mythischen Sage und ein paar Bemerkungen dazu am Ende.
Gemälde von Antonio Pollaiuolo, Ende 15. Jhdt.
Die Hydra war eine riesenhafte Wasserschlange mit neun Köpfen, die in den Sümpfen von Lerna in der Argolis lebte und den Bauern der umliegenden Dörfer Schaden zufügte. Sie kam nämlich von Zeit zu Zeit an Land, frass das Vieh oder verwüstete die Felder. Acht der neun Köpfe der Hydra waren sterblich, der neunte aber unsterblich.
Herakles erhielt von seinem Dienstherrn Eurystheus die Aufgabe, dem Treiben der Hydra ein Ende zu bereiten.
Zusammen mit seinem Neffen Iolaos fuhr Herakles auf einem Wagen nach Lerna. Sie entdeckten schliesslich die Wasserschlange Hydra versteckt in der Nähe ihrer Höhle. Mit brennenden Pfeilen trieb er die Hydra aus ihrem Versteck und reizte sie zum Kampf. Es heisst, dass sie aufgerichtet auf Herakles los ging, ihre neun Hälse wie die Äste eines Baumes im Sturmwind schwankend.
Herakles begann sodann mit seiner Keule die Köpfe der Hydra abzuschlagen. Aber für jeden Kopf, den die Hydra verlor, wuchsen ihr sogleich zwei neue nach.
Die Göttin Hera hasste ja den Herakles, weil er die Frucht eines Seitensprungs ihres Gatten Zeus war. Sie versuchte deshalb die Hydra zu unterstützen, indem sie ihr einen grossen Krebs namens Karkinos zu Hilfe sandte, der Herkules an den Füssen packte. Herkules zerquetschte aber den Riesenkrebs mit einem Fuss. Hera belohnte später den Krebs für seine mutige Hilfe, indem sie ihm als Sternbild einen Platz am Himmel schenkte.
Herakles rief nun seinen Neffen Iolaos zu Hilfe, der mit brennenden Fackeln kam. Jedes Mal, wenn Herkules der Wasserschlange einen Kopf abgeschlagen hatte, fuhr Iolaos mit einer brennenden Fackel über den Halsstumpf, brannte sie aus und verhinderte so das Nachwachsen der Köpfe.
So gelang es Herkules nach und nach alle Köpfe abzuschlagen, am Ende auch den unsterblichen. Herkules vergrub das unsterbliche Haupt der Hydra am Wegrand und wälzte einen Felsen darüber.
Das tödliche Gift aus dem Körper der Hydra verwendete Herkules von nun an, um seine Pfeile zu vergiften, so dass die Verletzungen, die sie erzeugten, nie mehr heilen konnten.
Viele Jahre später verfolgte Herakles einmal einen Kentauren, der ihm seine zweite Frau Deianeira entführte. Herakles traf den Kentauren mit einem vergifteten Pfeil. Im Sterben flüsterte der Kentaur der Gemahlin des Herakles zu, dass sie etwas von seinem Blut aufbewahren solle. „Wenn du befürchten musst, dass dich Herakles wegen einer anderen Frau verlässt, tauche seine Kleider in mein Blut. Dann wird er nie mehr eine andere Frau ansehen.”
Einige Jahre später war es dann soweit, dass Herakles wieder einmal ein Verhältnis zu einer anderen Frau anfing. Die eifersüchtige Deianeira legte ihm ein mit dem Kentaurenblut getränktes Hemd bereit, das Herakles auch anzog. Weil das Blut des Kentauren mit dem Gift der Hydra vergiftet war, musste fürchterliche Schmerzen erleiden. Um von seinen Qualen erlöst zu werden, liess er sich auf einem Scheiterhaufen verbrennen.
Da wurde er aus den Flammen in den Olymp erhoben. Er wurde von den Göttern unsterblich gemacht, und auch Hera versöhnte sich schliesslich mit ihm.
Gemälde von Gustave Moreau (1826 -1898 )
Bemerkungen zu dieser Sage:
Was zuerst wie ein gewöhnlicher Drachenkampf aussieht, hat ohne Zweifel seine Wurzeln im alten Mythos des Sieges eines männlichen, gottähnlichen Menschen über eine Wasserschlange, vielleicht das Urbild des Drachens. Die Wasserschlange kämpft stellvertretend für die grosse Göttin der matrifokalen Kulturepochen, die von den „modernen” (auch heute noch herrschenden) patriarchalen Göttern besiegt wurde.
Kein Zufall, dass Hera, die machtlose Statthalterin der grossen Göttin im Olymp, die Hydra unterstützt.
Im Herkules-Mythos schimmert aber noch das Wissen hindurch, dass die Vernichtung der Wasserschlange nicht die Vernichtung ihrer Kräfte bedeutet. Psychologisch würde man vermutlich von einer Verdrängung der Drachenkräfte sprechen. Früher oder später werden diese Kräfte aber wieder manifest und richten sich umso gefährlicher gegen den Drachentöter.
Dieser Zusammenhang ist in den klassischen Drachentöter-Märchen verloren gegangen, sogar in der Legende vom heiligen Georg. Aber es gibt ja genügend Märchen, die einen anderen Umgang mit den Drachen beschreiben, der nicht auf Vernichtung, sondern auf Zähmung, das heisst Integration ausgerichtet ist.
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Hallo,
Welche Märchen bevorzugen die Lösung der Integration der Drachenkräfte und was bedeutet es aus tiefenpsychologischer Sicht?
Danke, mit herzlichen Grüßen,
Peter Alt
Hallo Peter, vielleicht findest Du einige Hinweise in meinem Begleitartikel:
http://maerchenquelle.ch/1130/maerchen-mehr/betrachtungen/2009/drachenkraefte-in-uns-und-um-uns-herum/
Ich bin allerdings nicht Pychologe, weder Tiefen- noch sonst. Da müsstest Du dich bei den klassischen Erforschern des Unbewussten von Freud bis Jung umsehen.
Ich habe übrigens die Spur bezüglich Märchen nicht mehr weiter verfolgt: “Die Madonna und der Drache” und “Der Tsongurispieler” dünken mich Märchen, wo die Drachen integriert werden. Ausserdem ist das auch bei allen “Die Schöne und das Biest”-Märchenvarianten der Fall.
Gruss, Urs