Der Unternehmensberater Markus Marthaler (Human Resources Management) hat letztes Jahr eine hörenswerte Hör-CD veröffentlicht: “Wege in die Krise”. Marthaler nimmt dabei Bezug auf die Märchen und betrachtet insbesondere “Frau Holle” (Brüder Grimm, KHM 24).
In seinem Vortrag streicht Marthaler zuerst die Bedeutung der Krise auf dem Lebensweg heraus. Krisen im Sinn von Prüfungen und Umgang mit Scheitern sind ja in den Märchen allgegenwertig. Ohne sie könnten die Märchenheldinnen und -helden nie zum Ziel gelangen. Krisen sind notwendige Hürden, um auf unserem Lebensweg voranzukommen. Da wir die Krisen meist nicht gesucht haben, erscheinen sie uns ge-schickt vom Schick-sal 1.
Interessant ist Marthalers Betrachtung der beiden Marien:
Pechmarie handelt moralisch korrekt, indem sie die geltenden Regeln und Sitten befolgt, und handelt, auch aus Managersicht, logisch nachvollziehbar.
- Sie gehorcht ihrer Mutter, die sie zur Frau Holle schickt. Sie darf sich nicht schmutzig machen (… hat Mami/der CEO gesagt) und lässt deshalb die Brote im Ofen.
- Sie lässt die Äpfel auf dem Baum, denn sie muss aufpassen, dass ihr keiner auf den Kopf fällt (… hat Mami/der CEO gesagt).
- Sie will effizient sein, deshalb sticht sie sich absichtlich (ein Opfer muss sein, sagt der Priester, sonst kommen wir nicht in den Himmel; und Zeit, lange zu fackeln, haben wir auch nicht, sagt der CEO). Pechmarie wirft die Spindel gleich in den Brunnen und springt hinterher.
- Und bei Frau Holle befolgt sie das wichtigste Rezept unserer Zeit: Möglichst wenig tun und rasch abkassieren.
Ihr Pech: So gibt’s keine Entwicklung. Und Erfolg haben mit dieser Strategie auch in unserer Zeit ohnehin nur ganz wenige.
Goldmarie dagegen handelt nach Marthaler einfach ethisch. Punkt. Ihre allfälligen gescheiten oder fehlenden Überlegungen und moralischen Leitsätze interessieren uns im Märchen wie üblich nicht. Ihr Qualitäten- und Kompetenzen-Portfolio, das ihr zum Erfolg verhilft, sollten wir allerdings doch auch einmal näher betrachten…..
Der Fokus liegt auf dem Individuum, dessen Entscheide und Handlungen es auf seinem Lebensweg sich entwickeln und bewähren lassen. Damit konzentriert Marthaler sich auf das Märchen als Lebenswegbeschreibung eines Subjekts und nicht als Interaktion von Figuren. Es sind Handlungen eines Subjekts, welches alle im Märchen z.T. nur archetypisch charakterisierten Personen umfasst. Märchenfiguren sind Aspekte von Manager(inne)n, und natürlich von allen Menschen, inklusive uns. Jede(r) einzelne von uns hat immer die Handlungsoptionen der Goldmarie und der Pechmarie!
Geschickt (und manchmal etwas abenteuerlich) kombiniert Marthaler auf seiner Hör-CD verschiedene Betrachtungsweisen von Psychoanalyse bis Philologie, welche alle nicht grundlegend neu sind für Menschen, die sich schon länger mit Märchen beschäftigen. Aber wenn Marthaler den Vortrag vor Manager(inne)n gehalten hat, oder vielleicht auch vor pflichtbewussten Eltern, wäre das sehr innovativ!
1 Bei der Etymologie des Wortes Schicksal versteigt sich Marthaler allerdings etwas, wenn er die Endsilbe “-sal” vom lateinischen Salus = Heil ableiten möchte. “-sal” ist im Deutschen von alters her ein übliche Endsilbe um ein Verb zu substantivieren. Ich habe zur Sicherheit im Wörterbuch der Brüder Grimm von 1854 nachgeschaut, in welchem ja viele Begriffe und Bedeutungen von Wörtern dokumentiert sind, die wir heute nicht mehr kennen.
Das Wort „Schicksal“ setzt sich aus zwei Wortteilen zusammen: aus „schicken“ und „sal“. Sal ist lateinischen Ursprungs, kommt von salus = das Wohl, das Heil und wurde so ins Althochdeutsche übernommen. Im Frühmittelalter gab es noch den „Salmann“ = Heiler, Heilsbringer.
Demnach ist das Wort Schicksal mit „geschicktem Heil“ zu übersetzen, und nicht etwa mit Unglück.
Aber dieses „Heil“ bezieht sich ausschließlich auf die Seele in ihrer Weiterentwicklung auf ihrem Weg hin zu Gott, und nicht auf das leibliche Wohlergehen der Menschen. Man kann es auch etwas akademischer ausdrücken und Schicksal als „Spiegel des seelischen Bewußtseinszustandes“ oder als Dirigismus des Himmels (Seinsgeschehen) definieren. Esoterisch gesehen gilt Schicksal als der persönlichste Bereich des Menschen. Es drückt sich in ihm das individuellste, maßgeschneidertste esoterische Prinzip aus, das wir in der Seelenforschung kennen.
Gutes Schick-Sal empfinden wir als Glück, während wir schlechtes Schick-Sal meistens als Müh-Sal oder Drang-Sal, stets also unangenehm erleben. Daher hat es auch seinen ungeliebten, „fatalen“ Beigeschmack. Den Weg zur Seele nimmt es nämlich oft über Krankheit, Schmerz und Unglück. Im Gegensatz zum Menschen unterliegt das Tier nicht dem Schicksal. Es besitzt keinen freien Willen, sondern folgt nur seinem Instinkt und den Trieben und kann sich daher auch nicht um ein seelisches Lernprogramm „herumdrücken“.
In dieser schmerzlichen Form ist Schicksal fast immer die Folge eines nicht freiwillig wahrgenommenen LernProzesses während einer Inkarnation. Es sorgt aber stets dafür, daß der Mensch genau das lernt, was er am wenigsten akzeptieren will und wogegen er sich am meisten sträubt. So wird Schicksal zum Weg einer Gott-Erfahrung. Ziel des irdischen Daseins ist daher nicht etwa Reichtum, Glück und Erfolg auf der Welt, sondern das Erkennen der hintergründigen Wirklichkeit, eine Erweiterung des Bewußtseins, eine Begegnung mit jener Instanz, die der religiöse Mensch Gott nennt. Dieser im Grunde sehr esoterische Weg verspricht also nicht äußeren Ruhm, Glanz und Ehre, sondern vielmehr Arbeit, eventuell Einsamkeit, meist aber ständiges Ringen um die Wahrheit. Das heißt aber nicht, daß mächtigen und reichen Menschen die Gotteserfahrung auf Erde versagt bliebe. Nein, sie tun sich darin nur schwerer.
Andererseits kann dem Menschen nichts zustoßen – weder Angenehmes noch Unangenehmes – das nicht die Ursache in früherem Verhalten hätte. Den Grundstein dafür legte er in dieser oder einer zurückliegenden Inkarnation. Die Reaktion auf ein Schicksalsereignis kann aber ganz verschieden ausfallen. Streng genommen hat der Mensch nur die Wahl, zu leben oder „gelebt zu werden“. Wenn er „gelebt wird“, regiert ihn das Schicksal, das Fatum. So gibt es auch kein sogenanntes „blindes Schicksal“. Dazu die Evangelien nach LORBER:
„Würden die Menschen sich nie von Gott abwenden, so würden sie auch nie in Not und Elend verfallen“. „…Verlasset ihr diese Liebe aber, so werdet ihr dem Gericht die Schleusen öffnen, und es wird dann notwendig über euch herfallen gleich einem Stein und euch begraben!“.
Auch im Gleichnis von der aufgehenden Saat geht es um die Themen Vorbestimmtheit, Schicksal, Seelen-Entwicklung und Reinkarnation. Da heißt es: „Mit dem Reiche Gottes ist es so, wie wenn ein Mann den Samen auf die Erde streut und dann schlafen geht und wieder aufsteht, bei Nacht und bei Tage. Und der Same geht auf und wächst empor, ohne daß er selbst davon weiß.“ Diese Parabel beschreibt nach Ansicht des Sehers DASKALOS sowohl das Wirken des Gottes beim Hervorbringen von Leben, als auch, daß der Mensch „gute“ und „schlechte“ Dinge tut, ohne daß er sich den Folgen immer bewußt ist. Erst wenn die Ernte (Tod) gekommen ist, bekommt er ein höheres Maß an Gesamtschau und es offenbaren sich die Ergebnisse. Das Erschließen und Beherrschen alles Geistigen nimmt mit jeder Inkarnation (Ernte) zu. – Aus all diesen Lehren läßt sich die Erkenntnis formulieren: Wird Schicksal notwendig, so „wendet es die Not“ zum Guten. Die volle Beherrschung des Geistes ist aber erst dann erreicht, wenn der Zyklus der Inkarnationen zu Ende ist und keine weitere Verkörperung mehr notwendig wird (im Sinne von : „um die Not zu wenden“).
Schicksalsschläge erscheinen dem exoterisch lebenden Menschen völlig unverständlich, zufällig und äußerst ungerecht. Der exoterische Christ beginnt dann, mit seinem Gott zu hadern. Dies liegt aber nur daran, daß er die eigene karmische Vorgeschichte bzw. jene anderer Zeitgenossen nicht kennt. Ja sogar den Kirchenfunkionären – und damit den Kirchen selbst – bleiben die esoterischen Wahrheiten verborgen, da Karriere nur derjenige Priester machen kann, der ein Mindestmaß an Exoterik lebt und vertritt. Gut sichtbar wir dies beispielsweise immer dann, wenn Kirchevertreter schicksalshafte Groß-Unglücke und Katastrophen kommentieren sollen und dann auch nur mit den Medien zusammen hiflos fragen: “Gott, wo warst du da? Warum hast du das zugelassen?” Soche Fragen führen zu nichts als in die Sackgasse, helfen den Hinterbliebenen nicht weiter und sind eigentlich einer Religionsgemeinschaft unwürdig.
Wie aber können wir uns die Ursache für Schicksalsschläge veranschaulichen? – Stellen wir uns einen numerischen Siegelzylinder vor, also eine kleine Rolle mit einer rundherum laufenden Inschrift. Wenn wir diese Inschrift in Ton abdrücken wollen, um sie zu lesen, so müssen wir den ganzen Zylinder erst einmal herumrollen, um die ganze Inschrift zu erhalten. Alle Teildrehungen enthüllen lediglich einzelne Buchstaben oder Worte, jedoch nie die gesamte Inschrift. Analog betrachten die Menschen nur einen Teilbereich aus ihrem Gesamtleben oder der seelischen Vergangenheit. Das vollständige Abrollen des Schriftzylinders ist nun aber vergleichbar mit unserem Lebensschicksal. Erst im Tode ist der Siegelzylinder ganz ausgerollt und es wird Bilanz gezogen. Sie ist dann wiederum Ausgangspunkt für eine neue zeitliche Bewährungsstrecke auf Erden.
Begriffe wie Determination, Fatalismus oder Schicksalsgläubigkeit werden von der heutigen, psychologisch orientierten Astrologie mit Rücksicht auf den Zeitgeist und die Erwartungen der Klientel gemieden. Dafür ist mehr von „Übernahme von Verantwortung“ die Rede, wenn es darum geht, zu seinen Schattenseiten zu stehen. Das ist sicherlich nicht falsch. Trotzdem kennt das Leben Schicksalszwänge, die dem Menschen dann keine Alternative mehr lassen.