Aus einem Brief von Rainer Maria Rilke (1875-1926) an Franz Xaver Kappus, 16. Juli 1903.
…… und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Geduld zu haben mit dem Ungelösten und voll Vertrauen in die Antwort hinein zu leben — das sind wahre Märchenheld(inn)en-Qualitäten !
Ein wunderbares Zitat, das so viel sagt über persönliches Wachstum und die Zeit, die es braucht: für jeden seine (Eigen-)Zeit. Rilkes “Briefe an einen jungen Dichter” – eines der mir liebsten Bücher.
Danke für die Erwähnung meiner Rezension von Zeuch: “Management von Nichtwissen in Unternehmen” und die Ausführungen darin von Harrison Owen zur Schwarmintelligenz von Ameisen. Was Nichtwissen betrifft und Fragen: Owen schreibt dort auch davon “die Frage zu sitzen”, und das hat ja wiederum mit sich Zeit geben und Vertrauen zu tun, damit das radikal Neue entstehen kann.
“Wenn tieflotende Fragen aufkommen: Stopp! Bewegen Sie keine Muskeln; halten Sie Ihre Finger fern von der Tastatur, und meiden Sie Google. Sprechen Sie mit keinem Menschen, und halten Sie sich von Büchereien fern. Wälzen Sie sich in der Frage, genießen Sie sie, betrachten Sie sie aus allen Blickwinkeln. Kriechen Sie darunter, um sie herum, in sie hinein. Und um dieser Tugend willen denken Sie nicht einmal an eine Antwort, bevor die Sonne aufgeht, denn jede Antwort, an die Sie vorher denken würden, wäre voreilig.”