Dies ist ein Beitrag zur Blog-Parade von Frank Obels zum Thema Verantwortung.
Wie halten es die Märchenheldinnen und -helden mit der Verantwortung ?
Welche Vorbilder geben sie ?
Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt. Und ich bin in kurzer Zeit auch nicht wirklich weit gekommen. Was nicht heisst, dass etwas mehr Nachforschungen auch mehr bringen könnte.
Verantwortung auf dem Lebensweg übernehmen – Verantwortung ist ein Attribut des Erwachsenseins.
Verantwortung übernehmen bedeutet, Entscheidungen selbst fällen zu können, wählen unter mehreren Handlungsmöglichkeiten, eben frei sein. In einer Welt, in der es nur Bestimmung gibt, kann man im besten Fall noch die Verantwortung dafür übernehmen, seine Bestimmung anzunehmen. Man wird dann natürlich auch verantwortlich für die Folgen seines Handelns, unabhängig davon, ob die Handlung moralisch gut, zumindest legal oder gar verbrecherisch war. Siehe auch mein eher grundsätzlicher Artikel zum Thema.
In den Märchen tragen die Märchenheldinnen und -helden oft die Verantwortung für ihr Handeln zur Lösung der Probleme, aber …
… viele Märchenheldinnen und -helden befinden sich auf ihrem Weg noch im Stadium der Unmündigkeit, können also keine Verantwortung tragen. Im Gegenteil, sie geben bereitwillig die Verantwortung für ihr Leben ab: der Katze im “gestiefelten Kater”, dem Fuchs im “goldenen Vogel” oder dem Eisenhans. Im “goldenen Vogel” wird es sogar deutlich, dass es jedes mal schief herauskommt, wenn der Märchenheld selber entscheidet, indem er seine Überlegungen über den Rat des Fuchses stellt. Er muss dann die Verantwortung für seine Entscheide tragen. Der Weg im Märchen führt die Märchenheld(in)en erst zum Erwachsensein (in der Vollkommenheitsvision der Geschichte).
Auch der Fischer im “Fischer und syne Fru” will keine Verantwortung übernehmen und macht, was seine Frau verlangt. Aber die Verantwortung für die Folgen seines Nichtentscheidends trägt er doch.
Eine andere Nuance treffen wir im “tapferen Schneiderlein”. Es ist der Prototyp des skrupellos handelnden Egomanen, der das Wort Verantwortung nicht kennt. Aber das Resultat stimmt.
Eine ermutigende Veränderung macht Gretel im “Hänsel und Gretel” durch. Im richtigen Moment erwacht sie und übernimmt die Verantwortung für ihr Leben und das ihres Bruders. Sie entscheidet und handelt – und rettet beide.
Nach Bruno Bettelheim fördern die Märchen ganz allgemein eine Entwicklung von Verantwortung für sein eigenes Leben und auch für andere Menschen.
Verantwortung übernehmen heisst entscheiden, wählen zwischen Alternativen. Dieses Motiv kommt in vielen Märchen vor, allerdings sehr selten in den KHM der Brüder Grimm. Zum Abschluss möchte ich zum Thema Auswählen das folgende kurze Märchen aus Rumänien wiedergeben, das ich in einer Seminarausschreibung der Mutabor Märchenstiftung aus dem Jahre 2007 gefunden habe:
Wie der Flachs zu den Menschen kam.
In einem fernen Land lebte einmal ein armer Schäfer mit seiner Familie. Eines Tages überliess er die Herde seinem treuen Hund und wanderte bergwärts. Den ganzen Tag wanderte er und als er am Abend die müden Augen hob, sah er vor sich ein Schloss aus Schnee und Eis. Es glitzerte in der untergehenden Sonne, als wäre es aus Gold und Silber gebaut. Ein prachtvoll verziertes Tor öffnete sich. Der Schäfer fasste sich ein Herz und trat ein. Ein Gang führte ihn zu einem grossen Saal, dessen Wände waren aus Kristall, der Fussboden aber war aus Silber und die Decke aus purem Gold. In diesem Saal sass die Feenkönigin. Sie trug eine Krone aus Tautropfen und in der Hand hielt sie ein Sträusschen herrlicher blauer Blumen. „Sei willkommen in meinem Palast,” sprach die Fee freundlich. „Wähle aus meinem Schloss, was dein Herz begehrt, Silber, Gold und Edelsteine, soviel du tragen kannst.”
Der Schäfer blickte sich um und sprach: „Hab Dank, Königin, wenn ich etwas wählen darf, dann wähle ich die blauen Blumen in ihrer Hand.” „Du hast gut gewählt!” lächelte die Feenkönigin. „Die Blumen sind das Kostbarste, was ich besitze.” Sie reichte ihm den Strauss – doch kaum hatte er die Blumen in der Hand, war der Saal mit der Königin verschwunden und er stand vor einer Wand aus Schnee. In der Ferne sah er die Hütten seines Dorfes. Auf der Weide war kein Schaf mehr und als er nach Hause kam, rief die Frau: „Wo warst du nur? Ein Jahr lang haben wir dich gesucht und beweint.” Am nächsten Morgen aber pflanzte er die blauen Blümchen im Garten ein. Da erschien die Feenkönigin vor ihm und verriet ihm das Geheimnis der blauen Blumen.
Nach ihrem Rat spannten der Schäfer und seine Frau feine Fäden aus den Pflänzchen und woben daraus Leinen, weiss wie Schnee. Ihre Nachbarn lernten von ihnen und damit blieb der Flachs bei den Menschen.
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Hi Urs,
coole Idee, wirklich, das Thema aus der Sicht der Märchen zu betrachten.
Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Beitrag und das Mitmachen 🙂
Greetings
Frank
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