Betrachtung zu Hans mein Igel

IgelHans mein Igel, Brüder Grimm, KHM 108 (ATU 441)

Ausgangslag: Wieder einmal die Thematik „Bekommen kein Kind“:

  • Sie sind nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte.
  • Es ist keine Weiterentwicklung möglich.

Nicht nur Königspaare, auch Bauern sind davon betroffen. Bauern werden Träger von etwas, das sich zum Höchsten entwickelt, auch wenn sie etwas mehr „Bodenhaftung“ haben.

Wenn nicht die Einheit (das Paar) genügend Kraft hat, beginnt das Negative in Form von Polaritäten, Trennungen zu wirken:

  • Mangelsituationen, z.B. kein Kind bekommen.
  • Halb Mensch (unten) – halb Igel (oben).
  • Mangel an Zuwendung.
  • usw.

Hans mein Igel ist (wird)  ver-wünscht im Sinne von „falsch wünschen“ ohne bewusste böse Absicht, also nicht böswillig verzaubert.

Er bekommt keine Muttermilch, keine weiblichen Kräfte, Liebeskräfte. Wird er deshalb so hart ? Anderseits bedeutet das Plätzchen hinter dem Ofen auch Mutterwärme. Und sie nennen ihn Hans-mein-Igel.

Warum ausgerechnet ein Igel ? Ein sehr empfindsames Wesen, dass aus Empfindlichkeit unzugänglich und aggressiv ist. Ein Bild für einen jungen Menschen in der Pubertät.

Er bekommt keinen Paten wie ein richtiger Mensch. Er ist also etwas „Ausserirdisches“ mit magischer Geburt. Obwohl er zumindest halb Tiergestalt hat, also im Nicht-Bewussten angesiedelt ist, hat er doch klare Anlagen zu einer geistig entwickelten Persönlichkeit. Er ist ein mächtiger Tierprinz wie in vielen Parallelmärchen auch.

"Hans mein Igel" im Figurentheater Seiler, HannoverBild links: Wunderschöne Figur des Figurentheaters Seiler, Hannover.

Innere Kräfte sind aber da. Er verlangt aus eigenem Antrieb Hilfsmittel (Dudelsack, Göckelhahn) und sucht sich seine Bewährungssituation: im Wald beim Schweinehüten und –züchten, was ihm erfolgreich gelingt. Andere Märchenhelden müssen das Tiere Hüten oft nachholen, nachdem sie für die Hauptaufgabe noch zuwenig entwickelt waren (Bsp. in den Märchen Rapunzel KHM 12 oder Jorinde und Joringel KHM 69).

Hans-mein-Igel ergreift die Initiative und trennt sich von zu Hause (Fertig Hotel Mama, sonst gibt es kein Erwachsenwerden).

Im Wald ist Hans mein Igel keineswegs der arme Verirrte. Er ist „voll auf der Höhe“ und hat den Überblick von der Spitze der Bäume. Dazu macht er schöne Musik, die sein Weiterentwicklungspotenzial signalisiert.

Begegnung mit den zwei Königen. Sind die Könige Helfer für ihn oder ist er, wie es auf den ersten Blick scheint, der Helfer der Könige ? Subjektstufig sind sie eher seine Helfer, die ihm die Klärung der Situation und Weiterentwicklung ermöglichen. Als Helfer der Könige würde er, objektstufig gesehen, diese auf den Weg zu ihrem höheren Selbst führen.

Hans-mein-Igel macht keine selbstlosen Liebesdienste, sondern eindeutige Verträge, um selber weiter zu kommen. Das Vorgehen erinnert eher an „negative Helferwesen“ (Teufel usw.) im Märchen. Wir brauchen das aber nicht zu werten, so wenig wie wir das eigennützige Verhalten des Froschkönigs (KHM 1) werten sollen.

Die sich vergrössernde Schweineherde: In der Verbannung aus der normalen Alltagswelt vermehren sich seine äusserlichen Kräfte. Er schenkt alle seine Schweine dem Dorf. Er vermag trotz seiner Andersartigkeit und Entfremdung Leute zu nähren, seinen Leuten Gutes zu tun. Gleichzeitig verabschiedet er sich so (Loslassen) von seiner einsamen „Wald- und Schweinephase“.

Der erste König benutzt ihn nur und nimmt ihn nicht ernst. Er ähnelt etwas den Figuren der älteren Brüder in den Dummling-Settings. Dieser König spiegelt auch die vielleicht noch mangelnde Selbstakzeptanz von Hans-mein-Igel, einen Restzweifel, ob er wirklich ein richtiger Mensch ist. Diese Selbstzweifel hat er bisher hinter einem „coolen“ Verhalten versteckt. Das trifft für viele junge Männer zu, die sich über ihren Platz in der Welt noch nicht im Klaren sind. Die Selbstzweifel sind ja durchaus auch nachvollziehbar, so dass der König in diesem Sinne sein rationales Bewusstsein repräsentiert.

Gegenüber der Königstochter des ersten Königs operiert er nur mit Drohung und Gewalt und versucht nicht, sie zu überzeugen oder gar mit Liebe zu gewinnen (nutzt seine weiblichen Kräfte nicht). Er bleibt konsequent, kommt aber auch nicht zur Erlösung. Immerhin entlarvt und überwindet er die Verlogenheit an diesem Königshof.  Nebenbei: Entkleiden und blutig stechen einer Braut ist im Übrigen ein unzweideutiges Bild, das bei den Brüdern Grimm in der Ausgabe letzter Hand geradezu erstaunt.

IgelAm zweiten Königshof wird er dagegen akzeptiert und samt seiner physischen Unvollkommenheit auf der seelischen Ebene, also in Liebe angenommen. Er bekommt so seine passende Frau, vereinigt sich mit seiner ergänzenden weiblichen Komponente.

Die Hülle wird verbrannt, das Selbst befreit sich. Es bleibt vorerst ein Engramm seiner Vergangenheit zurück: er ist schwarz. Der König, der sein höher entwickeltes Bewusstsein spiegelt, kann ihn weiss und vollkommen machen lassen. Jetzt kann das „alte Bewusstsein“ (der König) auch zurücktreten und die Macht dem neuen, noch vollendeteren (ganzen) Menschen übergeben.


Quellen für diese Betrachtung:

  • Primär haben wir unsere ureigenen Quellen, Assoziationen und Bilder angezapft.
  • Gespräche mit anderen „Märchenarbeiterinnen“.
  • Psychoanalytische Splitter: Literatur von Hedwig von Beit.
  • Anthroposophische Splitter: Literatur von Friedel Lenz.


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