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Rumpelstilzchen-Effekte

Rumpelstilzchen-Illustration von Walter Crane (1886)

Illustration 1886 von Walter Crane (1845-1915) 

Der Rumpelstilzchen-Effekt

Sobald ich das Bedrohliche benennen kann (seinen Namen weiss), hat es seine Macht verloren und verschwindet sogar von selbst.

Illustration von Anne AndersonDahinter steckt die Wortmagie, die Überzeugung, dass ich Macht über etwas gewinne, dessen Name ich kenne. Das Sprachtabu soll dagegen gerade verhindern, dass ich einen Namen ausspreche, dessen blosse Nennung mich mit Möglichkeiten konfrontiert (z.B. in der Gestalt eines Gottes oder Dämons), die mir nicht zustehen.

Dieses psychologische Phänomen macht sich die Psychotherapie bewusst zu Nutze, um z.B. aus einer Blockade mit diffusen Ängsten heraus zu kommen. Aber auch in der somatische Medizin ist der Rumpelstilzchen-Effekt vielfach beschrieben als eine Form des Placebo-Effekts. Mich persönlich rettet z.B. die konkrete Auflistung (Benennung) der wichtigen Termine und Aufgaben davor, eine Pendenzen-Panik zu entwickeln.

 

Illustrationen von Anne Anderson (1874-1930)

 

Der umgekehrte Rumpelstilzchen-Effekt

Sobald ein Phänomen einen Namen bekommen hat, wird es zum allgemeinen Gesprächsgegenstand.

Müllerstochter und Rumpelstilzchen Anne AndersonIn der Regel werden auf diese Weise komplexe oder nur diffus wahrnehmbare Phänomene plötzlich zur scheinbar klaren Sache.

Beispiele dafür wären Begriffe wie „ADHS“, „Wissensmanagement“ u.v.a.

Damit soll nicht gesagt werden, dass es die komplexen Phänomene nicht gibt. Ich möchte vielmehr zu bedenken geben, dass die blosse Benennung der Phänomene ein Verständnis oder eine Klarheit suggeriert (Wortmagie), welche so nicht gegeben sind und welche dann durch wissenschaftliche oder mediale Bearbeitung simplifizierend erzeugt werden.

Oswald Neuberger zeigt dies in seinem Buch über Mobbing exemplarisch auf.

Der Begriff des „reverse rumpelstiltskin effect“ findet in einem anderen Sinne in der aktuellen Finanzwirtschaftslage Verwendung, wo Rating-Agenturen und Wertschriftenmakler fleissig Gold zu Stroh spinnen.

Die verzauberte und verzaubernde Gambe

Paolo Pandolfo, GambeKonzert in Basel am 9. Juni 2011 („La Viole Luthée“) mit Paolo Pandolfo, Viola da Gamba, und Thomas Boysen, Theorbe und Gitarre.

Es wäre nicht recht, Paolo Pandolfo als Hexenmeister zu bezeichnen, weil er einem in Bann zieht. Seine Fröhlichkeit und und Spielfreude ist eher die eines glücklichen Clowns, der den Zuhörenden einen maximalen Genuss für Ohren, Herz und Bauch verschafft. Als langjähriges Mitglied in den Ensembles von Jordi Savall hat Pandolfo, der im Herzen auch dem Jazz nahe steht, wohl erfahren, dass Musik in jeder Beziehung keine Grenzen kennt.

Keine Frage, dass die Werke des barocken Gamben-„Klassikers“ Sainte-Colombe virtuos und einfühlsam vorgetragen wurden. Aber Paolo Pandolfo ist auch ein Pionier im Wiederentdecken der Improvisationskunst, an welche sich die „klassisch gebildeten“ Musikprofis im Allgemeinen nur sehr zaghaft heranwagen. In den Improvisationen, die er seit einigen Jahren auch mit einem Ensemble pflegt, werden uns ungeahnte Qualitäten der Musik (wieder) erschlossen.

Das letzte Konzert der Freunde alter Musik in Basel, Saison 2010/11 war wieder ein Höhepunkt (in einer langen „Bergkette“ begeisternder Musik-Veranstaltungen).

Wissen ist Macht, aber Macht ist noch nicht Wissen

Macht ist noch nicht Wissen. Das ist geradezu eine Standardsituation in vielen Märchen:

  • Die Könige, die nicht wissen, wie’s weitergehen soll (Der goldene Vogel),
  • welchem Sohn sie ihr Reich übergeben sollen (Die drei Federn).
  • Die Königspaare, die keine Kinder bekommen (Das Eselein).
  • Die Könige, die krank sind und nicht geheilt werden können (Das Wasser des Lebens).
  • Die armen Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen (Hänsel und Gretel, Marienkind).

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Die drei Federn – eine Betrachtung

3 FedernDie drei Federn – eine Betrachtung.
Märchentext: Brüder Grimm, KHM 63.
Märchentyp:  ATU 402

Grundlage für die Betrachtung und gedanklichen Assoziationen: Ein lebhaftes Gespräch unter Märchenerzählerinnen und Märchenerzählern an einem Winterabend in Muttenz.

Die drei Federn

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, davon waren zwei klug und gescheit, aber der dritte sprach nicht viel, war einfältig und hieß nur der Dummling. Als der König alt und schwach ward und an sein Ende dachte, wußte er nicht, welcher von seinen Söhnen nach ihm das Reich erben sollte. Da sprach er zu ihnen ‘zieht aus, und wer mir den feinsten Teppich bringt, der soll nach meinem Tod König sein.’

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Symphony of Peace Prayers 2011

Die Friedens-Veranstaltung von Byakko im Mai des Jahres ist traditionellerweise der Begegnung und dem gemeinsamen Gebet von Vertretern aller Religionen gewidmet. Byakko selber ist ja keine Religion oder „Kirche“ sondern eine Vereinigung von Menschen jeglicher Religonszugehörigkeit und natürlich auch von Menschen ohne Religonszugehörigkeit.

Die Mai-Zeremonie läuft unter der Bezeichnung „Symphony of Peace Prayers“ und es sind jeweils Würdenträger der zahlenmässig bedeutenden Religionen als Redner eingeladen: 2011 Vertreter von Shinto, Buddhismus, Hinduismus, Sufi (Islam), Judentum. Die christlichen Kirchen wurden dieses Jahr durch die Orthodoxe repräsentiert.

Offizieller Kurzbericht (PDF)Kreis

Die Friedens-Veranstaltung findet im Fuji Sanctuary in Japan statt. Parallel (immer etwas zeitverschoben) dazu gibt es Zusammenkünfte in allen Teilen der Welt. Unter anderem in Stuttgart, wo sich die Menschen nach Vorbereitungsarbeiten in der Jugenherberge zur Friedenszeremonie in der Domsingschule trafen.

Das kleine Bild im Kurzbericht zeigt unsere Versammlung bei einem Volkstanz aus Kos, also nicht gerade einer Byakko-eigenen Aktivität, aber natürlich wichtig, um sich kennen zu lernen.

Bild: Kreis mit den Flaggensymbolen aller Länder, die während der Veranstaltung niedergelegt wurden.

Lebe deine Fragen

Aus einem Brief von Rainer Maria Rilke (1875-1926) an Franz Xaver Kappus, 16. Juli 1903.

…… und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.


Geduld zu haben mit dem Ungelösten und voll Vertrauen in die Antwort hinein zu leben — das sind wahre Märchenheld(inn)en-Qualitäten !

Die drei Muhmen – eine Betrachtung

Die Spinnerin (Vincent van Gogh, 1889)Dieses Märchen hat uns die Märchenerzählerin S. in einer Märchenrunde mit sechs Märchenkolleginnen erzählt in der Version von Rudolf Geiger “Die drei Schwestern der Mutter” . Viele Elemente dieser Betrachtung kristallisierten anschliessend am lauen Maiabend im unserem Garten.

Das Märchen erinnert stark an „Die drei Spinnerinnen“ bei den Brüdern Grimm, KHM 14 und entspricht dem Märchentypus ATU 501.

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Das Redentiner Osterspiel

Taufbecken in der Kirche St.Marien in WismarAm Ostersonntag, 24. April 2011, im Grundsteinsaal des Goetheanums in Dornach.

Noch selten habe ich während eines Schauspiels mit tiefem religiösem Sinn so viel gelacht.

Das wohl als Volkstheater konzipierte Redentiner Osterspiel umgibt die Botschaft von der Erlösung Aller in der sogenannten Höllenfahrt Christi mit einer Rahmenhandlung in welcher römische Soldaten im Auftrag von Pilatus und den Hohepriestern die Auferstehung Christi verhindern sollten. Niedergeschrieben wurde das Stück im 15. Jhdt in der Gegend von Wismar (Ostsee) durch Mönche des Zisterzienser-Klosters Bad Doberan. Die Handlung nimmt stark Bezug auf das sogenannte Nikodemus-Evangelium (Übersetzung).

Ausschnitt aus einem Relief am Taufbecken in der St. Marien-Kirche in Wismar

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Schwarmintelligenz – Leben wie die Ameisen ?

AmeisenWährend wir als Individuen mit unserer bisherigen Strategie der Vereinfachung komplizierter Fragestellungen relativ erfolgreich waren, versagen wir vor den komplexen Problemen, deren Reduktion auf einfache Fragestellungen keinen Beitrag zum Verständnis liefert. Wir haben als Einzelne keinen Überblick über die Einflüsse der einzelnen Faktoren auf das Gesamte. Kollektive Intelligenz im weitesten Sinne ist da ein mit viel Hoffnnug verbundener Ansatz. Voraussetzung dafür ist der Verzicht des Individuums, alles durchschauen, alles im Griff haben zu können.

Das Internet und insbesondere die Web 2.0-Tools haben das Potenzial, Wissen zu “demokratisieren”. Auch wenn mir als “altem Naturwissenschafter” sich dabei die Rückenhaare kräuseln, wie ich in einem früheren Beitrag ausgeführt habe.

Die Community bestimmt letztlich, was richtig ist. Ein darwinistischer Prozess, könnte man sagen.  Weiterlesen