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Um Mitternacht (Moerike)

Gedicht von Eduard Mörike (1804-1875)
(1867)

(Mörike> )

Um Mitternacht
 
Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.
 
Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtets nicht, sie ist es müd;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flüchtgen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom Heute gewesenen Tage.

Der Lohn des Märchenerzählers

Wovon lebt der Märchenerzähler ?

Die Volks- und Publikumsmeinung ist eindeutig: Von der Freude am Erzählen!

Und die Motivation jedes/r Märchenerzählenden entspringt sicher der Freude am Erzählen.

Aber von der Freude am Erzählen allein kann man nicht leben. Es bräuchte dann schon ein sehr tiefes Vertrauen in den eigenen schicksalshaften Märchen-Lebensweg, dass einem im richtigen Moment Hilfe, auch finanzielle, zukommt. Weiterlesen

Gesang der Geister über den Wassern (Goethe)

Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
(1779)

(Goethe> )

Gesang der Geister über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

Hans im Glück 4

Fortsetzung von “Hans im Glück 3” und Abschluss dieser Artikelserie .

Der Hedomat

Eine interessante, auch klar aus der Optik der Jahrtausendwende formulierte Deutung ist diejenige Rolf Wunderers: Hans im Glück als Prototyp eines Hedomaten. Weiterlesen

Hans im Glück 3

Fortsetzung von “Hans im Glück 2”

Heim zu Muttern

Ein interessantes Nebengeleise ist die Frage nach der Bedeutung des Heimgehens zur Mutter, das im Märchen mehrfach erwähnt und schliesslich zum Ziel des Lebenswegs und Happy End des Märchens wird.

“Die Mutter” ist nicht seine leibliche Mutter, sondern die grosse Göttin der vorpatriarchalischen Zeitalter.

Wenn man “materiell” mit “männlich” gleichsetzt, ist das ganze Loslassen des Habens die Befreiung von patriarchalischen Prinzipien.

Für diese Hypothese würde sprechen, dass der Ursprung der meisten Volksmärchen-Motive eben in dieser von Frauen bestimmten Mysterien-Kulturen der matriarchalen Zeitalter liegt. Allerdings bezweifelt der Märchenforscher H.J. Uther, dass es sich beim “Hans im Glück” um ein altes Volksmärchen handelt. Und die Brüder Grimm als Promotoren des Matriarchats kann ich mir auch nicht so recht vorstellen…..

Wenn wir “Mutter” mit “mein Ursprung” oder “meine Quelle” übersetzen, kommen wir zu den im vorgängigen Artikel formulierten Überlegungen, das Hans auf dem Weg zu sich selbst ist.

Fortsetzung folgt

Hans im Glück 2

Fortsetzung des Artikels “Hans im Glück 1“.

Haben oder Sein

Die “Zeitgeist”-gemässe Interpretation des Märchens, die natürlich in vielen aktuellen Workshops gelehrt wird. könnte man z.B. mit den Schlagwörtern Haben oder Sein (Erich Fromm) zusammenfassen.

Nur um das klarzustellen, ich habe (es ist schon Jahrzehnte her) mit Begeisterung dieses und andere Bücher von Fromm gelesen; im folgenden hinterfrage ich kritisch die “Haben oder Sein”-Interpretation des Märchens, nicht die immer noch gültige, scharfsinnige, sozialpsychologische Auseinandersetzung mit zwei deutschen Hilfszeitwörtern.

Hans weiss intuitiv, dass sein wahres Glück nicht im materiellen Besitz sondern in der unbeschwerten Glückseligkeit der Befreiung von allem materiellen Besitz liegt. Diese Bedeutung kann deshalb auch gut mit einem anderen Zeitgeist-Thema kombiniert werden: dem Loslassen. Weiterlesen

Hans im Glück 1

Ein verwirrendes Märchen ?

Verwirrend wohl auch, weil ich selbst da auch gewisse Persönlichkeitsmerkmale von mir wiederfinde, ….. ,  denn Frustabbau finde ich gesund !

Sehr angeregt hat mich vor einiger Zeit ein Weiterbildungskurs mit Rolf Wunderer, dem emeritierten “HR-Guru” der Hochschule St. Gallen (Schweiz), in dessen Verlauf eine interessante Deutung des Märchens diskutiert wurde.

Begegnet ist mir unter anderem kürzlich ein (älterer) Blog von Christa Schwemlein, der meine Gedanken in Bewegung setzte.

Was gibt es für Interpretationsspuren ?

Schwankmärchen über einen Markttrottel

Möglich, ein Schwankmärchen, das sich über einen “Markttrottel” lustig macht, also einen Marktteilnehmer, der beliebig übers Ohr gehauen werden kann und nichts als Verlustgeschäfte macht. In Unkenntnis des Marktwertes seines jeweiligen Beseitzes macht sich Hans zur Lachnummer.

Diese Rezeption des Märchens durch die Zuhörenden ist nicht abwegig und war vielleicht als Nebeneffekt beabsichtigt. Aber sie schränkt den Gehalt des Märchens schon auf sehr Oberflächliches ein. Etwa so wie wenn sich z.B. der Gehalt von “Rotkäppchen” in der Ermahnung und Handlungsanweisung von Primarschülern für ihren Schulweg erschöpfen würde.

Fortsetzung folgt

Rusalka – Die Meerjungfrau

Film von Anna Melikian (Russland)

Verleih: Trigon-Film

Unbedingt sehenswerter Film.

Die Reklame zielt auf das “Märchenhafte” und “Magische” des Films ab. Aber eigentlich ist es ein Film über ein Mädchen auf ihrem schwierigen Weg zur jungen Erwachsenen in einer Erwachsenenwelt, deren knallharte Realität geradezu surrealistische Züge trägt — wenn wir nicht wüssten, dass ja nichts irriger ist als die Realität.

Abgewertet und kaum unterstützt von ihrer Umgebung, reagiert sie zuerst mit konsequentem Mutismus (psychogenem Schweigen) und nimmt dabei die Einschulung in eine Behindertenschule in kauf. Auch ihre aggressiven, zerstörerischen Gedanken gegenüber ihrer trostlosen Umgebung sind für ein Kind in ihrer Situation keineswegs anormal.

Gleichzeitig entdeckt sie aber die Kraft des Wünschens und die Möglichkeit, eine bessere Zukunft im Traum zu visualisieren. Weiterlesen

Ungesehene Ansichten (Visions unseen)

Das Titelbild des Buchs “Visions Unseen” von Frances Ripley zeigt den Hasel-Elf – oder besser gesagt: zeigt wie der Hasel-Elf sich den Menschen zeigen möchte durch die Hand von Frances.

Ihre Zeichnungen zeigen uns beides, die Schönheit und die Macht der Naturgeister. Die Texte erläutern wie Frances Ripley zu einer liebenden und vertieften Aufmerksamkeit für die Reiche der Naturgeister geführt wurde. Und wie sie dann „gezwungen” wurde, viele von ihnen zu zeichnen.

Das Buch wurde vor einem Jahr bei Findhorn Press veröffentlicht
(ISBN: 978-1-84409-093-8).

Wenn ich das Buch studiere, bin ich immer wieder berührt und fasziniert von den Zeichnungen und den Abenteuern, die Frances dabei erlebte, wie als sie mir zum ersten mal einige Bilder zeigte und von deren Entstehung erzählte.

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Wasser als Element im Märchen

Wasser ist ein zentrales Element für den Menschen, für die Natur als Ganzes.

Als Symbol ist das Wasser in der Geistesgeschichte der Menschheit sehr wichtig und somit natürlich auch in den Märchen.

Ich möchte zwei Gedichte an den Anfang stellen:

“Gesang der Geister über den Wassern ” von Johann Wolfgang von Goethe.

“Um Mitternacht” von Eduard Mörike.

(Fortsetzung folgt).